Ein Mädchen saß an einem Tisch vor einem komischen Ding.
Ich ging hin und fragte sie, was das ist. Sie sagte: "In welchem Jahr
lebst du denn? 1924 !?"
"Ja", sagte ich und das Mädchen lachte.
"Was ist denn jetzt dieses Dings?" fragte ich.
"Das ist kein Dings, das ist ein Computer. Ach, übrigens: Ich heiße Lena."
"Aha", sagte ich. "Ich heiße Alma - und es war kein Spaß, das mit 1924."
(Anna, 10 J.)
"Achtung!" rief Julian und zog mich zur Seite, als ein Mann
mittleren Alters an mir vorbeipreschte. Er stand auf einem
Roller, aber anstatt mit dem Fuß Schwung zu holen, stand er
mit beiden Beinen auf dem Roller. Doch der fuhr einfach wie
von Geisterhand selbst. In meinem Kopf drehte sich alles, was in
Gottes Namen war das?
(...)
Das Café war leer, also setzten wir uns an den Tisch, der uns
am nächsten stand. Julian kramte in seiner Tasche und holte
ein Portemonnaie und eine komische schwarze, dünne Schachtel
aus der Tasche. Dann fing er an, auf der Schachtel herumzutippen
und hielt sie anschließend über das Bild eines kleinen Quadrats,
das auf die Tischplatte geklebt war."
(Emilia, 11 J.)






Von Norbert Radtke (Dramburg) - Privatsammlung, Gemeinfrei, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=25283177

Fünf Tage Zeitreise liegen hinter uns. In den Köpfen knisterten die Ideen. Gedanklich und mit dem Stift in der Hand ging es 100 Jahre in die Vergangenheit und von dort aus auf turbulente Weise zurück in unsere Gegenwart. Doch wie anders sieht unsere Welt plötzlich aus, wenn wir sie mit den Augen der aus dem Jahr 1924 zeitgereisten Alma und Martha betrachten.
Und wo ist Silvana? Noch bei Emil im Berlin der Zwanziger Jahre?
Moment, gerät dabei nicht einiges durcheinander? 2024 ist Emils Schicksal längst Geschichte; kann und darf Silvana es trotzdem ändern?
Und wer ist der unheimliche Mann, der sich an Almas Fersen heftet, jetzt wo sie zusammen mit ihrer neu gewonnenen Freundin Lena herausfinden will, was eigentlich geschehen ist. Und weiß Martha, was es mit dem "Verbund der Zeitreisenden" auf sich hat?
Spannende und zum Teil auch knifflige Fragen tauchten auf, doch auch hier gingen die Gedanken unermüdlich weiter spazieren; die Schreibenden fanden fantastische und fantasievolle Antworten.
5 x 4 Stunden Schreibwerkstatt schienen da kaum auszureichen, um die Geschichten vom ersten Wort bis zum letzten Satzzeichen druckreif aufs Papier zu bringen. Von der ersten Idee zur fertigen Geschichte ist es nämlich ein Stück Weg.
Zu Beginn eines jeden Schreibtages "wärmten" wir uns erst einmal mit einer Runde Schreibspiele auf, denn was für alle anderen Muskeln gilt, gilt auch für den Denkmuskel. Besonders die Faltgeschichte fand großen Anklang; die absurden und sehr lustigen Texte, die dabei entstanden, wurden im Laufe der Woche gern noch ein paar Mal hervorgeholt und laut zur allgemeinen Belustigung vorgelesen.
MONTAG
Am Montag war dann erst einmal Brainstorming angesagt. Im Gepäck hatte ich eine Menge Bücher und Fotos. So zum Beispiel: "In einem alten Haus in Berlin", "Das Buch der Zeit", Klassenfotos von 1924, s/w sowie nachcoloriert, Erich Kästners "Pünktchen und Anton" und "Emil und die Detektive", ein Kochbuch mit Alt-Berliner Rezepten und ein Stapel Namenskärtchen. Zuvor hatte ich mich im Internet auf die Suche nach Namen-Hitlisten von 1900 bis 1920 gemacht und einige der gängigen und beliebtesten Vornamen aufgeschrieben. Namen sind eben nicht immer Schall und Rauch.
Auf weitere Kärtchen kamen Wörter und Begriffe, die vor 100 Jahren jedes Kind verstand. Aber wer weiß heute noch, was man sich unter Kledage vorstellen darf? Und wann ist etwas knorke? Statt mit der Tram fuhr man 1924 wohl meistens noch mit der Elektrischen. Ein Pferd gehörte in den 1920ern auch nicht mehr vor jede Droschke, ebenso wenig werden bei dem Ausruf Alle Wetter! die Blicke gen Himmel gewandert sein. Doch das muss man erst einmal wissen. Also wurde gerätselt, nachgeschlagen und erklärt.
Am Ende der Montags-Session kannte jede Autorin mindestens eine Figur ihrer Geschichte und die dazugehörigen Eckdaten.
Während "Martha" und "Alma" aus dem Jahr 1924 ins Jahr 2024 katapultiert werden, tritt "Silvana" die Reise auf dem Zeitstrahl in die entgegengesetzte Richtung an.




DIENSTAG
Wie sich 2024 anfühlt, wissen alle Schreibenden auf Anhieb. Na klar. Aber wie fühlt sich 1924 an? Können wir das heute noch herausfinden, obwohl echte Zeitreisen doch eher unwahrscheinlich sind? Können wir. Jedenfalls ein bisschen.
Und so führte die Rechercheneugier uns am Dienstag ins Museum Mitte in der Pankstraße.
Mit dem Museum Mitte hatte ich im Vorfeld schon einen Besuch vereinbart, denn das Museum befindet sich in einem der ältesten erhaltenen Schulbauten Berlins. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, so erzählte es uns Michael Mohr, wurde es als 32. Gemeindeschule nach einem Entwurf von Stadtbaurat Adolf Gerstenberg und Baumeister Petersen errichtet.
Eigentliches Ziel unseres Ausflugs war danach das Historische Klassenzimmer. Hier lauschten wir Herrn Mohrs Mitarbeiterin, die Wissenswertes über den damaligen Schulalltag zu berichten wusste. Wie oft der Rohrstock vor 100 Jahren noch eingesetzt wurde, daran scheiden sich offenbar die Historiker*innengeister. Die Reformpädagogik à la Pestalozzi, so Michael Mohr, sei zumindest in den großen Städten anscheinend schon seit einer ganzen Weile recht populär gewesen.
Mit Feder und Tinte bewaffnet, machten sich die Kinder ans Werk und übten sich in Sütterlin,
dann gehörte das Klassenzimmer von anno dazumal uns ganz allein.
In aller Ruhe konnte jetzt die Vergangenheit erspürt werden.
Die Schreibaufgabe war es, die Figuren sprechen und von einem ganz normalen Schultag aus ihrem Leben 1924 erzählen zu lassen.
Abschließend wanderten wir noch durch die übrigen Ausstellungsräume, wo es neben alten Fotos und Infotafeln auch Gegenstände des Alltags zu besichtigen gab, zum Beispiel einen Kohlenkasten. Der wird im Leben von Martha, Alma und Emil so alltäglich gewesen sein, dass sie ihn wohl kaum erwähnen würden.

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